Landwirtschaft unter Kriegsbedingungen

06.02.23
Grenzland Anbautagung mit Gastvortrag aus der Ukraine

Textquelle: Anna Brink, Landwirtschaftlicher Kreisverein Grafschaft Bentheim e. V.

 

Nach zweijähriger coronabedingter Zwangspause konnte die Grenzland Anbautagung Anfang Februar wieder als Präsenzveranstaltung in der Gaststätte Ridder in Wilsum stattfinden. Organisiert wird die Veranstaltung durch die drei Niedergrafschafter Warengenossenschaften RWG Veldhausen eG, RW Ringe-Wielen-Georgsdorf eG und der Raiffeisenbank Ems-Vechte eG mit dem Warengeschäft Raiffeisen Ems-Vechte.

 

Zu Beginn der Veranstaltung stellten die drei Ackerbauberater der Raiffeisen Ems-Vechte Matthias Smemann, Joost Plescher und Luca Reimann den knapp 300 anwesenden Gästen aktuelle Anbau- und Anwendungsempfehlungen für den Ackerbau 2023 vor. Dafür wurden schon im letzten Jahr viele Versuchsflächen angelegt, um ihren Kunden die besten Sorten, Dünge- und Pflanzenschutzmittel empfehlen zu können. Bei allen drei Referenten wurde deutlich: Änderungen in der Gesetzeslage, viele neue Auflagen durch die neuausgewiesenen, sogenannten Roten Gebiete und die Gemeinsame Agrarpolitik (kurz GAP Reform), aber auch Wetterextreme erfordern jedes Jahr aufs Neue eine Anpassung im Ackerbau. So werden beim Getreide zum Beispiel neue Sorten angebaut und getestet, die gegen neuartige Krankheiten resistent sein sollen. Auch auf fehlendes Wasser müsse man sich in Zukunft einstellen und vorbereiten. Luca Reimann macht durch ein Zitat deutlich: „Landwirt ist der wichtigste Beruf auf Erden“, das sei schon in Vergangenheit auf den Anbautagungen benannt worden und das sei auch heute noch aktuell, so Reimann. Holger Hoffstall von der Landwirtschaftskammer in Meppen berichtet den Landwirtinnen und Landwirten was mit der neuen GAP-Reform auf sie zukomme. Eine der zukünftigen Anforderungen sei zum Beispiel, dass vier Prozent der Ackerfläche eines Betriebes stillgelegt werden soll. Das heißt für die Betriebe, dass weder Futter für die Tiere, noch Lebensmittel darauf angebaut werden können. Die EU erhofft sich dadurch mehr Fläche für den Arten- und Naturschutz. 

 

Dann kündigt Moderator Jürgen Hindriks, Geschäftsführer der RWG Veldhausen eG, einen besonderen Gast an: Andrij Pastushenko, ein Landwirt mit 380 Kühen und 1500 Hektar Ackerbau aus der unmittelbaren Nähe zur umkämpften Stadt Cherson im Süden der Ukraine. Der Landwirt wollte eigentlich persönlich in die Grafschaft gekommen sein, um seinen deutschen Berufskollegen davon zu berichten, wie Landwirtschaft in einem Kriegsgebiet betrieben wird. Doch die aktuellen Umstände und politische Bestimmungen ließen ihn nicht die Grenze passieren. Bevor er 2008 die Leitung des landwirtschaftlichen Betriebes übernahm, war er Universitätsdozent und unterrichtete Deutsch. Auch als Dolmetscher war er tätig. Er wird Online dazu geschaltet und ist auf einer großen Leinwand zu sehen. 

 

Er berichtet von dem Moment, als er am 24. Februar Letztens Jahres um 7:00 Uhr morgens vom Kriegsbeginn erfahren hat. Sein erster Gedanke: das ist noch weit entfernt, das ist bald vorbei. „Das war leider nicht so“, stellt er gefasst fest. Schon bald kam der Krieg näher. „Das war zu sehen und auch immer deutlicher zu hören“. Doch einfach Aufhören und Weggehen kam für den Landwirt nicht in Frage. Die Kühe müssen immerhin täglich gefüttert und gemolken werden, macht er deutlich. So hatten er und seine Mitarbeiter zunächst einen relativ normalen Alltag, die Kühe wurden versorgt und die Äcker wurden bestellt. Doch schon bald gab es ein Problem mit der Milch – „Wohin mit 10.000 Liter Milch am Tag?!“, fragt er in die Kamera. Abgefüllt in Kanister verschenkt er die Milch an die 25 Kilometer entfernt liegende Stadt Cherson. Krankenhäuser, Schulen und Kirchen profitieren davon. Schnell wird klar: auch die Lebensmittel werden so langsam knapp. So stellen Andrij und seine Mitarbeiter kurzerhand selbst Butter, Quark und Sahne aus der Milch her. „Auf einmal war den Leuten klar, wie lebenswichtig wir Landwirte sind“. Seine Frau und der jüngste Sohn waren bereits sicher in Deutschland angekommen. In einer riskanten Fahrt brachte er auch seinen ältesten Sohn und Frauen und Kinder aus dem Bekanntenkreis an die Grenze. Alleine ging es für ihn zurück in die Heimat. Während seiner Abwesenheit hatten die Russen sein ganzes Haus geplündert und Waffen und teure Technik geklaut. „Mein Zuhause fühlt sich seitdem nicht mehr an wie mein Zuhause“, so Pastushenko. Sein Betrieb ist weit und breit der einzige, der Tiere hält. Viele Landwirtskollegen, die nur Ackerbau betreiben, sind bereits weg. Doch er will auch weiterhin seine Tiere versorgen und sie melken, damit er die übriggebliebenen Mitbürger aus Cherson mit Milch und Lebensmitteln versorgen kann. Mit Bildern macht er deutlich, wie schwierig die Ernte im letzten Jahr war. Seine Mitarbeiter und Kollegen fanden immer wieder Blindgänger auf den Feldern, einige Flächen sind aber auch abgebrannt. Erst Anfang Januar schlugen ein paar Raketenwerfer unmittelbar neben dem Stall ein und zerstörten Bürogebäude, Maschinen und ein wichtiges Notstromaggregat. Denn Strom, Gas und gar Handynetz gibt es schon lange nicht mehr. Und ohne Strom kann nicht gemolken werden. Gemeinsam mit anderen Landwirten macht er sich seitdem auf den Weg, um Notstromaggregate, aber auch Maschinen, Pick-Ups und Lebensmittel für den Betrieb und auch für die Ukrainische Armee zu besorgen. Währenddessen wird seine Mitunternehmerin und Kollegin auf dem landwirtschaftlichen Betrieb von der russischen Armee verhaftet und für mehrere Tage mit einem Sack auf dem Kopf in einem Keller in Cherson eingesperrt. Nur mit viel Geld können sie seine Kollegin freikaufen. Da der Betrieb groß ist und über mehrere Gebäude und Häuser verfügt, halten sich auch immer wieder Soldaten dort auf. Ihnen werden Duschen, Betten und Lebensmittel zur Verfügung gestellt. Auch im Kälberstall im Stroh kommen immer wieder Ukrainer unter. Wohl auch wegen seiner Unterstützung zur ukrainischen Armee, suchen ihn die Russen mehrfach, ohne Erfolg. In die Zukunft blickt der Ukrainer skeptisch: auf den Äckern sind Minen und Blindgänger verteilt. Das Futter für die Tiere neigt sich dem Ende zu und es ist fast unmöglich neue Futtermittel anzubauen. Die Angriffe auf Cherson häufen sich. 30 – 40 Angriffe pro Tag schätzt er. Die Verluste sind riesig. „Wir haben keine Wahl, wir müssen weitermachen und wir werden weitermachen. Nur wenn Russland den Krieg verliert, wird das alles ein Ende haben. Mit der Unterstützung der restlichen Welt werden wir das schaffen“. Zum Abschluss wirbt er für eine selbstgegründete Hilfsorganisation, bei der medizinische Mittel, aber auch Lebensmittel importiert und an Krankenhäuser verteilt werden. Jürgen Hindriks bedankt sich für den informativen und sehr bewegenden Vortrag und sichert Pastushenko die Hilfe der drei Genossenschaften zu. Noch immer herrscht im vollbesetzen Saal Stille. „Wenn man so etwas hört, werden unsere Probleme hier ganz, ganz klein“, stellt der Geschäftsführer fest. Im Anschluss an den Vortrag aus der Ukraine laden die Gastgeber die Landwirtinnen und Landwirte noch zu einer traditionellen Erbsensuppe ein. 

 

Bild 1 (Anna Brink): Jürgen Hindriks, Geschäftsführer der RWG Veldhausen eG, mit den Referenten Luca Reimann, Joost Plescher, Matthias Smemann, alle drei Raiffeisen Ems-Vechte, und Holger Hoffstall, Landwirtschaftskammer Meppen 

Bild 2 (Anna Brink): Andrij Pastushenko, Landwirt aus der Ukraine berichtet in einer Video Übertragung von der Landwirtschaft unter Kriegsbedingungen 

Bild 3 (Pastushenko): Mitarbeiterinnen stellen in der Scheune selbst Lebensmittel aus der Milch her 

Bild 4 (Pastushenko): Während der Ernte im letzten Jahr werden häufig Blindgänger gefunden 

Bild 5 (Pastushenko): Betriebsleiter Andrij Pastushenko und ein Teil seiner Mitarbeiter/innen im Stall 

Bild 6 (Pastushenko): Die Milch wird in Kanister abgefüllt und in Cherson an Krankenhäuser, Schulen und Kirchen verschenkt

Bild 7 (Pastushenko): Die noch verbliebenden Einwohner der Stadt sind auf die Lebensmittel Lieferungen des Landwirtes angewiesen und stehen Schlange